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Archiv-Artikel

„Jetzt bleiben wir auch in der Liga“

Nach dem 3:1-Sieg gegen Arminia Bielefeld funkt bei Bayer Leverkusen wieder die Hoffnung. Das verdanken die Pillenkicker vor allem den beiden Brachialtoren ihres brasilianischen Weltmeisters Lucio – und dessen gutem Draht nach oben

aus Leverkusen ERIK EGGERS

Auch Ozzy Osbourne fand keine Gnade vor dem Erlöser Leverkusens an diesem Abend, vor Lucimar Ferreira de Silva, genannt Lucio. Obwohl der US-Hardrocker in letzter Zeit ein wenig handzahm geworden ist und heute als Hauptdarsteller in der nach ihm benannten Serie bei MTV allenfalls zum Schmunzeln anregt. Osbournes Provokationen verfügen ja nun nicht mehr über jene Drastik der 70er-Jahre, als die erzkonservativen amerikanischen Theologen nichts weniger in ihm erblickten als ein Medium des Antichristen. Vielleicht wusste das auch Lucio, jedenfalls hat er sich zunächst zwar artig bedankt für die aktuelle Osbourne-CD, die ihm ein Fernsehsender nach dem 3:1-Sieg gegen Arminia Bielefeld noch auf dem Rasen als „Spieler des Tages“ als Präsent überreichte. Dann ließ er unverzüglich via Dolmetscher ausrichten, dass er es nicht so mit Rockmusik habe: „Ich mag lieber Kirchenmusik.“

Dabei erinnerte die Spielweise des 24-Jährigen in den 90 Minuten zuvor keineswegs an einen braven Gang in den Gottesdienst. Vielmehr hatte Lucio mit seiner bemerkenswerten Brachialität und Willenskraft den Werkskickern drei wichtige Punkte gesichert, sodass Bayer nun, da der Abstand zum rettenden Tabellenplatz 15 nur noch einen Punkt beträgt, wieder Hoffnung schöpft auf den Klassenerhalt. Im dritten Spiel nach seiner langen Verletzungspause stand Lucio im Zentrum fast aller Schlüsselszenen dieser Partie: Zuerst verschuldete er einen Strafstoß zum 0:1-Rückstand, um dann mit zwei ganz unsakralen Gewaltschüssen für die Führung zu sorgen; den zweiten Freistoß aus 25 Metern jagte er mit rund 130 Stundenkilometern unter die Latte. „Ich danke Gott, dass ich noch zwei Tore gemacht habe“, sagte der tiefgläubige Innenverteidiger nach dem Spiel, um auch das weitere Schicksal des Klubs drei Spieltage vor Saisonende in die Hand des Allmächtigen zu legen: „Wenn Gott will, dann werden wir weiter in der ersten Bundesliga spielen.“

Profaner sahen es die Konkurrenten aus dem Ostwestfälischen, die nun ihrerseits plötzlich nur noch zwei Punkte Vorsprung auf Leverkusen besitzen. „Diese Glücksschüsse“, meinte etwa der Ketzer in Gestalt Detlev Dammeiers, „gehen nicht jede Woche rein.“ Und auch Gäste-Trainer Benno Möhlmann wies in seinen Analysen fast mit Stolz darauf hin, dass der Gastgeber in keinem Moment die spielerischen Möglichkeiten gefunden habe, den aus zehn Mann bestehenden Abwehrriegel seiner Mannschaft zu knacken. Tatsächlich vermochten sich weder Bierofka auf links noch der schwache Franca entscheidend durchzusetzen, sodass Leverkusen gegen diesen weltlichen Beton weitgehend auf Weitschüsse und Standards angewiesen war. Die ganze Chancenarmut zeigte sich speziell in der zweiten Halbzeit, in der Leverkusen, abgesehen von den beiden Toren, keine weiteren Torschüsse zu verbuchen hatte, und auch Bielefeld, geschwächt durch die unnötige gelb-rote Karte Brinkmanns, nur zu einer Großchance durch Hansen kam. Deswegen verblüffte die spätere Behauptung Möhlmanns, sein Team sei mit Siegesambitionen ins Spiel gegangen: weil sich in dieser Saison kein Gast defensiver und destruktiver in der Bay-Arena präsentiert hatte als ebendiese Arminia.

Umso größer war nach dem Spiel die Erleichterung in Leverkusen. „Der Druck konnte nicht größer sein“, sagte Thomas Hörster, „bei einer Niederlage wäre ja alles aus gewesen.“ Der Trainer will nun eine „Wende“ und „eine gute Ausgangsposition“ ausgemacht haben, obwohl neben Lucio eigentlich nur Nebenmann Juan und mit Abstrichen Hanno Balitsch überzeugend agierten. Die anderen Leverkusener wirkten eher lethargisch und weitaus weniger kämpferisch als noch zuletzt in Mönchengladbach, allen voran der oft hilflos wirkende Bastürk. Immerhin vor den offenen Mikrofonen verbreiteten sie dann später Optimismus. „Wir sind wieder in Schlagweite“, meinte etwa Balitsch. „Jetzt bleiben wir auch in der Liga“, prognostizierte Carsten Ramelow. Angetan war der Kapitän vor allem von der Reaktion nach dem Rückstand: „Wie die Mannschaft nach dem 0:1 zurückgekommen ist, war klasse.“

Gleichwohl fiel es schwer, sich diese Reaktion ohne die fast gewalttätige Wucht Lucios vorzustellen, ohne seine wilden und entschlossenen Soli und ohne seine Zweikampfstärke „Man hat gesehen, warum er Weltmeister ist“, sagte Hörster dazu in der ihm eigenen Lakonie. Und es schien ihm reichlich gleichgültig, ob es nun himmlischer Beistand war oder einfach nur der rechte Fuß des Brasilianers, der diesen Sieg gesichert hatte.

Bayer Leverkusen: Butt - Zivkovic (65. Babic), Lucio, Juan (75. Kleine), Ojigwe - Balitsch, Ramelow - Bastürk - Bierofka - Franca, Berbatow (81. Simak)Arminia Bielefeld: Hain - Lense, Hansén, Reinhardt, Borges - Kauf, Rauw, Dammeier (80. Du-Ri Cha) - Brinkmann, Diabang (74. Vata) - WichniarekZuschauer: 22.500 (ausverkauft); Tore: 0:1 Brinkmann (34./Foulelfmeter), 1:1 Lucio (38.), 2:1 Lucio (69.), 3:1 Balitsch (71.); Gelb-Rot: Brinkmann (63. wegen grober Unsportlichkeit)